Wenn die Kurzsichtigkeit im Kindesalter beginnt – ein Fallbeispiel

23 Okt. 2020

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Kurz vorab: Gebrüder Grimm und Grimms Märchen
Ich habe ein schönes Bild im Kopf, welches ich mit geschätzt 4 Jahren erlebt habe:
Meine Oma saß mit mir und meiner Schwester im Sessel am Kohle-Ofen. Ich saß auf dem Schoß meiner Oma, meine Schwester auf der Lehne. Meine Oma las uns aus dem dicken Mächenbuch der Gebrüder Grimm vor. Ich liebte diese Situationen, weil meine Phantasie so extrem angeregt wurde.
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Vor etwar 40 bis 50 Jahren war die Kurzsichtigkeit im Kindesalter absolut kein Thema.
Jeder wird sich an seine (Grund)-Schulzeit erinnern und daran, wieviel Klassenkameraden damals bereits eine Brille getragen haben. Vermutlich sind es weniger als eine Handvoll pro Klassenverband.

Schaut man Heute in die Grundschulen und vor Allem auch in die weiterführenden Bildungseinrichtungen, so sieht man deutlich mehr Kinder, die eine Brille tragen.

Warum das so ist, habe ich in den vorhergehenden Blogs bereits erörtert.
Weil die Kurzsichtigkeit im Kindesalter bis vor ca. 10 Jahren noch kein echtes Thema (zumindest in Deutschland) war, wurde auch nichts weiter dagegen unternommen, außer Kinder und Jugendliche mit einer Brille zu versorgen.

Die kurzsichtigen Kinder von damals sind heute erwachsen und haben in vielen Fällen eine hochgradige Kurzsichtigkeit entwickelt.

Von einer Person, die genau dieses durchlebt hat, möchte ich hier berichten:

Ein Beispiel, wie eine Brille aussehen kann, die eine hochradige Kurzsichtigkeit koorigiert.

Zur Person:
Ich nenne diese Person Toni. (Wenn ich im Folgenden von sie oder ihr/ihre spreche, bezieht sich das nicht auf Tonis Geschlecht, sondern auf die Person). Ich möchte, dass Toni völlig anonym bleibt.
Toni ist ca. 45 Jahre jung und hat ein ca. 12-jähriges Kind.
Toni ist ein ganz normaler Mensch, wie Du und ich…außer die Kurzsichtigkeit.

Wie alles begann:
Toni bekam mit der Einschulung die erste Brille.
Wie Toni sagt, waren die Stärken so um die -1,00 dpt.
Es folgten jalbjährliche Kontrollen beim Augenarzt mit den Ergebnissen, dass die Kuzsichtigkeit jedes Mal zwischen 0,5 und 1,0 dpt gestiegen ist.
Irgendwann kam der Wechsel von Brille auf Kontaktlinsen.
Toni trägt also seit der Jugend Kontaktlinsen.

Wie ist der aktuelle Stand?
Die Fakten:
Toni trägt nach wie vor Kontaktlinsen.
Mit einem augenärztlichen Rezept und einer Kontaktlinsen-Verordnung mit den Werten rechts und links ca. – 14,5 dpt stand Toni kürzlich bei mir im Geschäft.
Bei den verordneten Dioptrie-Werten handelt es sich bereits um die Werte für die Kontaktlinsen. Die Werte für eine Brille wären, bedingt durch den Abstand zwischen Auge und Brillenglas, deutlich höher*. Rein rechnerisch würden sie sich bei ca. -24 bis -27 dpt befinden.
Meine subjektive Augenprüfung zeigte eine Kurzsichtigkeit von ca. – 28 dpt. Ähnlich auch das Ergebnis der objektiven Augenprüfung.
Der Visus, also die Sehkraft, die Toni damit erreicht liegt bei etwar rechts 30% und links 60%.
Toni berichtet mir von einer bereits gelaserten Netzhautablösung.
Die Ergebnisse unseres umfangreichen Screenings zeigen keinerlei Besonderheiten auf. Die Daten liegen (bis auf die starke Kurzsichtigkeit) im relativen Normbereich.
Nichts spricht gegen die Anpassung neuer Kontaktlinsen.

Der Einfluss der frühen und früh starken Kuzsichtigkeit auf die persönliche Entwicklung von Toni:
Toni litt von Anfang an unter ihrer Fehlsichtigkeit. In der Schule wurde sie gehänselt, beim Sport und Toben störte die Brille. Wenn Toni schwimmen ging, konnte sie nur undeutlich sehen, weil die Brille nicht mit ins Wasser durfte.

Ganz abgesehen vom häufigen Verbiegen, Rutschen oder Beschlagen war die Brille für Toni immer ein erforderliches Übel, welches von Jahr zu Jahr schwerer wurde.
Und nicht nur das: die Brillengläser wurden von Jahr zu Jahr dicker und unästhetischer.
Die Augen hinter der Brille wirkten immer kleiner und die Brille veränderte gravierend das Aussehen von Toni.

Gerade in der Kindheit und Pubertät leiden die jungen Menschen besonders unter diesen negativen Einflüssen. Da leuchtet es ein, wenn die psychische Entwicklung der Heranwachsenden sicherlich negativ beeinflusst wird.
Ein gesenkter Kopf mit schrägem Blick von unten nach oben und lange über die Augen wachsende Haare sind lediglich die sichtbaren Kompensationsverhalten von stark kurzsichtigen Menschen. Zurückgezogenheit, Unsicherheit, Schüchternheit und Introvertiertheit sind oft beobachtete Charakterzüge.

So kam die frühe Entscheidung zu Kontaktlinsen.
Damit konnte Toni wieder (fast) ganz normal leben. Aber auch nur fast:
Mit zunehmender Kurzsichtigkeit war der Toilettengang nachts ein Abenteuer, der Wecker war nicht lesbar und spätestens in der ersten echten Beziehung/Liebe musste sie sich „outen“
Die Angst, eine Kontaktlinse zu verlieren war groß. Auch die Befürchtung, irgendwann eine „Augenentzündung“ zu bekommen, schwirrte ständig in Tonis Kopf. Denn dann ist vorerst Ende mit Kontaktlinsen. Und Brille geht gar nicht. Das sagte Toni bereits im Jugendalter.

Toni wusste genau:
ohne Brille oder Kontaktlinsen findet kein Alltag mehr statt.
Ohne Sehhilfe gibt es kein Leben.

Die Ängte:
Toni lebt mit der ständigen Angst, dass sie entweder eine Linse verliert oder sie aus gesundheitlichen Gründen keine Kontaktlinsen mehr tragen darf.
Toni lebt aber auch mit der ständigen Angst, dass erneut eine Netzhautablösung auftritt oder andere gesundheitliche Ereignisse auftreten, die ihr Sehvermögen gravierend beeinträchtigen.

Die Folgen einer hochgradigen Kurzsichtigkeit im praktischen Alltag:

  • wenn eine Brille aus ästhetischen Aspekten überhaupt noch möglich ist, ist aber die Auswahl der Formen sehr eingeschränkt. (je kleiner und runder, umso besser)
  • das Gewicht der Brille verursacht unweigerlich Druckstellen, die evtl. auch schmerzen
  • eine Reservebrille darf nie fehlen
  • die Angst, dass die Brille verbiegt oder bricht, ist immer da
  • schminken ohne Brille oder Kontaktlinsen – geht: ja, wenn man fast in den Spiegel hineinkriecht
  • Führerschein? Nur wenn auch die Sehschärfe über 70% liegt (oft bei hochgradigen Kurzsichtigkeiten nicht vorhanden)
  • allein durch die wesentlich verkleinerten Abbildung ist die max. Sehschärfe reduziert
  • durch eine starke Brille hat man einen sogenannten Tunnelblick und sieht oft seitliche Objekte nicht, undeutlich oder zu spät
  • durch die reduzierte Sehkraft sind Details schwer zu erkennen
  • evtl. sind Gesichter auf Entfernung nicht erkennbar. Das führt beim Gegenüber unter Umständen zu Missmut oder Ärger
  • Brillen für hochgradige Kurzsichtigkeiten sind oft deutlich teuerer als für geringe Fehlsichtigkeiten
  • auch Kontaktlinsen können unter Umständen nicht pausenlos getragen werden
  • bei Kontaktlinsen schwebt immer die ungewünschte Stuation mit, in der das Tragen der Kl vorübergehend unmöglich ist
  • das Risiko für Augenerkrankungen ist um ein vielfaches erhöht.
  • ständige augenärztliche Kontrollen, die Aufschluss auf die Gesundheit der Augen (Netzhautablösung, Makuladegeneration) geben, sind Plicht -> der regelmäßige Gang zum Augenarzt und /oder Augenoptikermeister nimmt ein Stück Lebenszeit und macht immer wieder darauf aufmerksam, dass da was anders ist
  • die Angst, irgendwann zu erblinden wird wohl jeder hochgradig kurzsichtige Mensch haben

Eine weitere wichtige Sorge: was ist mit den Augen meiner Kinder?
Toni hat ein ca. 12-jähriges Kind.
Nachweislich erhöht sich das Risiko für eine sich entwicklende Kuzsichtigkeit bei Kindern wenn die Eltern kurzsichtig sind.

Hier erhöht sich das Risiko für das Kind mit Anzahl der kurzsichtigen Elternteile ( nur Vater oder Mutter oder beide) und mit der Höhe der elterlichen Kuzsichtigkeit (je höher die Eltern kurzsichtig sind, umso höher das Risiko für das Kind)

Tonis Kind trägt eine Brille. Diese gleicht eine leichte Hornhautverkrümmung aus.
Wir haben Tonis Kind in die Myopie-Kontrolle genommen und beobachten die Entwicklung im jalbjährlichen Rhytmus.
Toni ist überglücklich, an uns geraten zu sein. Denn sie hat in der Vergangenheit bereits große Angst gehabt, ihr Kind müsste die gleiche Entwicklung durchleben, wie Toni selbst. Das wünscht sich Toni auf keinen Fall.
Tonis Kind hat drei Vorteile:
1.: es ist bereits 12 Jahre und nicht 6, wie Toni damals.
2.: Die Entwicklung der Augen von Tonis Kind wird von uns beobachtet. Somit können wir sofort handeln, falls die Kurzsichtigkeit zunimmt. Mit geeigneten Mitteln bremsen wir dann das Fortschreiten dieser Kurzsichtigkeit.
3.: Wir konnten schon jetzt Toni und Tonis Kind bestimmte „Verhaltens-Regeln“ für den Alltag mitgeben, die dazu beitragen können, dass die Kurzsichtigkeit nicht oder nur langsamer steigt.

Das Resume:
Wenn Du nicht selber betroffen bist, kannst Du Dir kein Bild davon machen, wieviel Einfluss eine hochgradige Kurzsichtigkeitauf das gesamte Leben hat.
Auch mir ist jetzt erst bewusst geworden, wie stark die körperliche und seelische Entwicklung eines Menschen darunter leiden kann und mit wieviel Eingeschränungen der Alltag bewältigt werden muss.
Ich dachte immer, dass meine – 2,0 dpt mich in meiner freien Entfaltung einschränken. Jetzt habe ich eine ganz andere Sichtweise darauf! -2,0 dpt sind echt „pille-palle“! (Ich hoffe, man weiß was ich damit meine)

Wie schön, dass ich mich fortgebildet habe und meinen Kunden heute die Myopie-Kontrolle bzw. das Myopie-Management anbieten kann.


Damit die heutigen Kinder später,
wenn sie selber Großeltern sind,
ihren Enkeln aus dem Märchenbuch
der Gebrüder Grimm vorlesen können.

Welch ein Wert für beide Generationen.

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